Peter Ketturkat
Weinbergshacken - Winzerporträts
Der Weinbau ist eine mühevolle Tätigkeit und war in erster Linie Handarbeit.
Diese Weinbergshacken wurden in erster Linie von lokalen Dorfschmieden hergestellt. Ab dem 19. Jahrhundert aber auch seriell von Werkzeugfabriken der stahlverarbeitenden Industrie.
War das Werkzeug gut, begleitete es den Winzer sein Leben lang. Und die Gewohnheiten und Neigungen des Winzers spiegelten sich in den Veränderungen des Eisens
über die Jahre. Es nutzte sich links oder rechts ab, je nach Gebrauch, und je nach Untergrund, wie Zähne bei einem alten Gaul.
Zuweilen zerbrach es, und wenn der Dorfschmied ein Fachmann war, war er in der
Lage, das Ding zu reparieren.
Diese Hacke wurde zu einem Zeugnis von Zeit und Raum, von Individuum und Geschichte, von Biographie und Geographie. Man bemüht heute Forensiker, um die Geschichte der Dinge zu erzählen. Die finden Mineralien, Farbstoffe, Fasern und
Kohlenstoffverfallsprodukte an den Dingen und benennen Raum und Zeit, Umgebung
und Alter.
Sicherlich wichtig für Kriminalfälle oder für die Archäologie, doch für den Geschichtenerzähler genügt ein offenes Auge, ein wenig Verstand, ein wenig Intuition und
Phantasie, um die Welten und Geschichten zu finden, die in den Hacken verborgen
sind.
Auf Schrottplätzen, Flohmärkten, aber auch weggeworfen im Wald findet man diese Hacken zuhauf, wenn auch immer seltener. Die landen dann entweder wieder in Schmelzöfen, werden von Sammlern als Dekoobjekte aufbereitet, oder rosten unentdeckt weiter vor sich hin.
Abnutzungen und Oxydationsnarben geben jedem einzelnen Teil einen eigenen Charakter
Wenn ich diese Dinge finde, reinige ich sie zuerst einmal. Es war von jeher Brauch, dass man Gästen zum Willkommen die Füße vom Staub des Weges reinigt.
Da mein Interesse aber über ihr bloßes Verweilen hinausgeht, ich alles über ihre Geschichte erfahren will, stecke ich die Hacken in ein elektolytisches Bad, Wasser mit Natriumhydrogencarbonat angereichert, in dem sich eine Anode und eine Kathode befinden, mit einem Batterieladegerät als Stromquelle.
Die Hacke wird an die Kathode (negativer Pol) der Stromquelle angeschlossen. Als Anode kann man ein Blech aus VA-Stahl verwenden, es wird an den positiven Pol der Stromquelle angeschlossen. Dabei entsteht Knallgas, deshalb kann man diese Arbeit nur im Freien ausführen. Der Rost löst sich auf und wird zu einer schwarzen Schmiere, die mit der Stahlbürste, Topfreinigern und Seifenwasser entfernt wird.
Nun zeigen die Dinge nackt ihre ganze Wahrheit, alle Narben, alle Verletzungen, Brüche und manchmal sogar ihre innere Struktur.
Ich richte sie nun auf, schweiße an ihr Fußende einen Halter, den ich später in eine
Platte aus Holz einfüge. Die Hölzer sind hart und edel, Eiche, Kirsche, Birne, Akazie,
geschliffen, poliert, grundiert und gewachst.
Der Stiel der Hacken, in der Regel aus Eschenholz, war meistens nur noch als abgebrochener Rest in der Seele der Hacke vorhanden. Die Seele - das ist die Leere der Dinge, das Loch im Rad, durch das die Achse geht, das Loch im Lauf des Gewehrs, durch das die Kugel rast, die leere Mitte des Korkenziehers, die Fassung für den Stiel der Werkzeuge, der die menschliche Hand mit der Axt, der Schaufel, dem Hammer, oder eben der Hacke verbindet. Wäre da nicht der Holzstiel, wären diese Eisenteile nutzlos. Und würde niemand diese Stiele mit den Händen bewegen, würden sie nur in den Ecken ruhen.
Sicherlich sind die gebrochenen Stiele in den Eisen ein Ausdruck von Ende und
Scheitern, ist das Teil aber einmal gesäubert, entrostet und in seiner Form an sich präsentiert, ruft die Öffnung, die Leere, die Seele, da wo der Stiel einmal war, nach Erfüllung, für mich nach dem imaginären Gesicht des Winzers, denn sie sind doch immer eins mit ihm gewesen, und mehr, sie haben ihn überdauert.
Ich lasse also Lindenholz ein, in das ich das Gesicht des Winzers hineingeschnitzt habe.
Das gelingt nicht immer, manchmal entgleitet mir sein Gesicht und muss verworfen
werden.
Doch am Ende steht dann etwas vor mir, das sich durch Würde, Trauer, Beständigkeit
und Schönheit auszeichnet, von dem Rilke sagt:
„Das Ding selbst, das aus den Händen eines Menschen hervorgeht, ist wie der Eros
des Sokrates, ist ein Daimon, ist zwischen Gott und Mensch, selber nicht schön, aber
lauter Liebe zur Schönheit und lauter Sehnsucht nach ihr.“
© Fotos: Peter Ketturkat
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